Ich träume eine Kirche gefüllt mit echten Menschen. Menschen, die bei sich sind und ausdrücken können, was sie bewegt. Dazu gehört Vertrauen.
Regeln und Dogmen sind ein Geländer, hilfreich und hinderlich zugleich. Hilfreich, weil sie Orientierung und Sicherheit geben. Der Mensch kann sich an eine Ordnung halten, auf die Regel verweisen und sagen: „Schau hin, das sagt die Ordnung! Daran müssen wir uns alle halten. Das kommt nicht von mir allein.“ Der Mensch gibt die Verantwortung ein Stück weit ab, benutzt sie als Schutzschild, versteckt sich dahinter. Wovor und vor wem schützt die Ordnung? Wenn ich die Ordnung befolge, bin ich in Sicherheit und habe Recht.
Die Regeln und Ordnungen engen ein, sie beschneiden meine Kreativität. Ich bin ein lebendiges Wesen, die Ordnung ist ein starres Gerüst, beides passt nicht deckungsgleich zusammen. Es gibt eine Schnittmenge – wie groß ist sie? Alles, was nicht hineinpasst, wird abgeschnitten, abgetrennt, weggeschmissen? Wie gehen wir mit frischen Ideen, Entwicklungen und Wachstum um, das sich nicht mit der Ordnung deckt, wenn doch die Ordnung die Norm ist, das Normale, das Gesetzte? Ist es überflüssig, ist es schlecht, ist es Müll? Wo findet es Platz?
Die Ordnung sagt zu mir, was nicht hineinpasst und nicht dazugehört. „Schau nicht hin! Lass nicht zu, dass etwas außerhalb der Ordnung wächst. Wir können es nicht einfangen, beherrschen. Es könnte in eine falsche Richtung laufen, über uns hinauswachsen, unserer Kontrolle entgleiten, seine eigene Wirkmacht entfalten, die wir nicht regieren können. Was passiert dann?“ Die Ordnung schreibt vor: „Die Tür muss geschlossen bleiben, nicht einen Spalt breit dürfen wir sie öffnen, denn dahinter lauern finstere Kräfte, ein schlechter, dunkler, fauliger Wind weht hinter der Mauer!“
So viel Angst! „Fürchtet euch nicht!“ ruft der Engel Maria, den Hirten und den Frauen am leeren Grab zu. Auch Mose hat Angst, als er auf dem Berg Gott gegenübersteht. Er kann Gott nicht anschauen, aber sein Wort hören. Mose lässt sich von Gott ermutigen und bewegen. Zögerlich, abwehrend nimmt er den Auftrag an. Er spürt Gottes Gegenwart und unfassbare Kraft. So groß und so widersprüchlich ist Gott, so unbegreiflich.
Der Schöpfer, der mit seiner unermesslichen Energie uns ins Leben gerufen hat, ist so fern. Der Sohn, der mit seiner Zuwendung, Wärme und Ausstrahlung die Menschen berührt und in Bewegung bringt, kommt uns so nah. Der Geist verkörpert Energie, Zauber, Fantasie und Mut, ist flüchtig, bunt und kraftvoll, gleichzeitig nicht verfügbar.
Ich vertraue auf Gottes Zuspruch, mache auf und lasse mich durchpusten vom lebendigen Geist. Ich öffne die geheimnisvolle Tür einen winzigen Spalt. Sogleich strömt mir ein frischer, kraftvoller, beunruhigender Luftschwall entgegen. Er gibt mir Kraft und verunsichert mich. Er stellt vieles Vertraute, Sichere auf den Prüfstand. Er fegt alte Zöpfe und harte Krusten weg und stellt meine Füße auf weiten Raum, gibt mir Mut hinzuschauen, wo meine Stärken und Schwächen sind. Er schenkt mir die Großzügigkeit, ja zu sagen zu meinen Schwächen, meinem Zu-kurz-Kommen, meiner Unvollkommenheit. Er ermächtigt mich, dankbar meine Gaben und Stärken zu sehen, nicht unter den Scheffel zu stellen, Ideen zu entwickeln und umzusetzen, abwegige Gedanken zu denken und auszuprobieren. Gott geht voran wie die Feuersäule in der Wüste. Sein Geist verbreitet ein strahlendes Licht. Ich verbinde mich mit den abgetrennten Träumen und Gedanken und finde zu ihm nach Hause. Hier kann ich mich entfalten und wie Mirjam nach dem Durchzug durchs Schilfmeer tanzen. (MR)
