Stellungnahme zur SELK_news vom 21 Juni 2025
In der SELK_news Ausgabe 48-2025 | 21.06.2025 steht u.a.:
Zitat: „Die kirchliche Verfassung sagt in Artikel 24, der Allgemeine Pfarrkonvent soll „über Fragen der Lehre, des Gottesdienstes und der kirchlichen Praxis [zu] beraten. Er kann dazu Beschlüsse fassen. Solche Beschlüsse bedürfen der Zustimmung durch die Kirchensynode, wenn sie bindende Wirkung für die Kirche haben sollen.
Somit hat der Allgemeine Pfarrkonvent die Aufgabe, über die Lehre der Kirche, also über geistliche und theologische Fragen nach der Heiligen Schrift und in Übereinstimmung mit den lutherischen Bekenntnissen zu entscheiden. Die Frage nach der Ordination von Frauen ist eine solche theologische Lehrfrage.“
Die Kirchensynode der SELK, zu der Laien-Delegierte aus den Kirchenbezirken und Pfarrer in gleicher Weise gehören, kann zu solchen APK-Beschlüssen Stellung nehmen. In der SELK-Grundordnung heißt es deshalb von den Aufgaben der Kirchensynode unter anderem in Artikel 25, Absatz (5), b), dass es zu den Aufgaben der Kirchensynode gehört, „über Fragen der Lehre, des Gottesdienstes und der kirchlichen Praxis zu beraten und zu darüber gefassten Beschlüssen des Allgemeinen Pfarrkonventes Stellung zu nehmen.“
Wenn mit dieser Aussage in der SELK_news gemeint wird, dass nur der APK über die Lehre der Kirche entscheiden kann und die Kirchensynode nur Stellung dazu nehmen kann, dann stellt dies eine „spezielle“ Auslegung der Grundordnung dar, die im Widerspruch zu mehreren Sachverhalten steht.
Sachverhalt 1: Die Synode der Evangelisch-Lutherischen Freikirche (ELFK) hätte 1971 niemals einer Grundordnung zugestimmt, die diese „spezielle“ Auslegung beinhaltete. Die Vereinigung zur SELK wäre 1972 gescheitert. Hierzu findet sich in der Zeitschrift „Lutherische Theologie und Kirche“ ein Beitrag der die Lehrfindung in unserer Kirche als gesamtkirchlichen Prozess darstellt.[1]
In den Erläuterungen zur Grundordnung wird beschrieben, wie unterschiedlich die Traditionen der Vorgängerkirchen beim Verhältnis von Amt und Gemeinde waren. Die größten Gegensätze bestanden zwischen der ELFK und der Niederhessischen Diözese der (alten) SELK (NHD).[2]
Bei der ELFK hatten die Gemeinden die Lehrautorität während bei der NHD alleine das Amt (d.h. die Pfarrer) das “Regieramt” in der Kirche hatte und damit auch die Lehrautorität.
Am Ende der Anmerkung 09 steht in den Erläuterungen: „So legte sich in der Frage der Zuordnung von Amt und Gemeinde in der Grundordnung der Lutherischen Kirche in Deutschland ein Kompromiß nahe, welcher durchaus als sachgemäß bezeichnet werden muß.“ [3]
Wie sah nun dieser Kompromiss aus? Die Niederhessischen Diözese der (alten) SELK (NHD) akzeptierte, dass die Kirchengewalt und damit auch die Lehrautorität vom Pfarrkonvent zur Kirchensynode geht. Die ELFK akzeptierte, dass die Kirchengewalt von der Gemeinde zur Kirchensynode geht. Somit konnten beide Vorgängerkirchen der Grundordnung zustimmen. (Liste der ELFK Gemeinden 1972) [4]
Sachverhalt 2: Die Kirchensynode 1999 hat die Pfarrerdienstordnung geändert, bei der auch theologische Fragestellungen tangiert wurden. Sie hat diese Entscheidung jedoch ohne vorheriges Votum des Allgemeinen Pfarrkonvents (APK) getroffen. Es wurde angezweifelt, ob dies rechtens war.
Rechtsanwalt Tillmanns, damals Vorsitzender der SynKoReVe hat in einem Schreiben das Vorgehen der Synode für rechtens erklärt, mit folgenden Worten: „Bei Anwendung der üblichen Auslegungskriterien (Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte) stünde ein anderes Ergebnis nicht in Einklang mit der Struktur unserer Kirche nach der Grundordnung (G0).“ [5]
Tillmanns zitiert zur Begründung aus den Erläuterungen zur Grundordnung, die mit unserer Ordnung zusammen verabschiedet wurde und zum Zusammenschluss der SELK führte den Satz: „Die Kirchensynode kann auch von sich aus Beschlüsse fassen, sofern ihr entsprechende Anträge vorliegen.“ [6] Er bestätigt dies noch mit einem „Sic!“ (auf Deutsch: „So steht es geschrieben“).
Die Kirchensynode kann also zu Fragen der Lehre, des Gottesdienstes und der kirchlichen Praxis von sich aus Beschlüsse fassen. Dieser Auslegung hat damals die Synode der Evangelisch-Lutherischen Freikirche (ELFK) als Kompromiss zugestimmt.
Die “spezielle” Auslegung der Grundordnung in der SELK_news ignoriert den Satz: „Die Kirchensynode kann auch von sich aus Beschlüsse fassen, sofern ihr entsprechende Anträge vorliegen.“ und ist insofern ein Bruch des Kompromisses von 1971.
Sachverhalt 3: Zitat Martin Luthers: „Die christliche Gemeinde hat Recht und Macht alle Lehre zu urteilen …“.
Zu Macht und Recht der Gemeinde sagt die Erläuterung unserer Grundordnung: „Andererseits ist die gläubige Gemeinde mündige Gemeinde. Sie hört zwar auf das Amt, das die Versöhnung predigt und wird durch seinen Dienst gebaut und erhalten. Aber durch den Heiligen Geist, der ihr durch die Gnadenmittel verliehen ist, hat sie selbst Macht und Recht, die Lehre zu beurteilen und verantwortliche Kirche zu sein und mit zu tragen. Ein Konflikt mit dem Amt ist grundsätzlich dadurch ausgeschlossen, daß beide, Amt und Gemeinde, an den Herrn Jesus Christus, an die Wahrheit des Evangeliums und damit an das Bekenntnis der Kirche gebunden sind.“ [7]
Und zum Schluss noch einen Hinweis auf den Theologen Hermann Sasse. „Er gehört zu den konfessionellen Lutheranern, die im 20. Jahrhundert die Bedeutung des lutherischen Bekenntnisses wiederentdeckt und zu kirchlicher Geltung gebracht haben. Er hatte eine klare lutherische Überzeugung und zugleich ein ausgeprägtes ökumenisches Bewusstsein – im besten Sinn des Wortes. Er gehörte zuletzt der Evangelisch-Lutherische Kirche Preußens (die „altlutherische“ Kirche) an bevor er nach Australien ausgewandert ist.“ (Prof. i. R. Dr. Werner Klän). [8] Er wird in unserer Kirche bis heute sehr geschätzt.
Sasse schreibt: „Auch das unaufgebbare Recht der christlichen Gemeinde Lehre zu urteilen muss gewahrt bleiben. Was wäre aus mir geworden, wenn nicht treue Gemeindeglieder und Kirchenälteste mich manchmal zur Ordnung gerufen hätten.“ [9]
Hier Zitate aus unserer Grundordnung:
Im „Artikel 11 Gemeinden“ der Grundordnung ist festgelegt:
„(1) Jede Gemeinde ist Kirche Jesu Christi an ihrem Ort. Alle Gemeinden zusammen tragen das gottesdienstliche und geistliche Leben der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche.
(2) Die Gemeinden verwalten ihre Angelegenheiten selbst im Rahmen der dafür geltenden Ordnungen und der Beschlüsse der Synoden.“
In anderen Worten: Es sind die Gemeinden, in denen die Kirche Jesu Christi in dieser Welt ist. Das Leben jeder einzelnen Gemeinde ist das Leben der Kirche. Das ist der Grund, weshalb es so wichtig ist, dass die Gemeinden an den Entscheidungen über die Zukunft der Kirche mitwirken.
Zum Schluss noch ein Zitat aus den Erläuterungen zu unserer Grundordnung:
„Nur der Begriff der Polarität vermag das Verhältnis von Amt und Gemeinde, wie es in der vorliegenden Grundordnung beschrieben werden soll, mit einem Wort zu kennzeichnen. Dem entspricht es, daß wohl einerseits die Kirchensynode in allen Fragen die letzte Entscheidung zu treffen hat, daß aber andererseits dafür Sorge getragen ist, daß das geistliche Amt in seiner Gesamtheit nicht von der Gemeinde überstimmt werden kann. Die Zusammensetzung der Kirchensynode, zusammen mit der Maßgabe, daß bei allen wichtigen kirchlichen Beschlüssen 2/3-Mehrheit erreicht werden muß, schließt dieses aus. Dadurch soll sichergestellt sein, daß zuletzt Amt und Gemeinde in der Leitung der Kirche gemeinsam handeln, aus gemeinsamer Überzeugung heraus und in gemeinsamer Verantwortung. Man muß sich darüber klar sein, daß die Kirche zerbrochen ist, wo dies nicht mehr möglich sein sollte.“ [10]
Rosemarie Lösel
Friedrich Kugler
05.08.2025
Alle Fußnoten und die Dokumente zu den Fußnoten sind insgesamt einsehbar unter: https://grundordnung.wordpress.com/wp-content/uploads/2025/08/webadresse.pdf
1 Friedrich Kugler, Lehrfindung als gesamtkirchlicher Prozess, in LuThK 47 (2023), 64-73. https://grundordnung.wordpress.com/wp-content/uploads/2025/07/luthk2023_1_kugler-lehrfindung.pdf)
2 Anmerkung 09 auf Seite 20. https://grundordnung.wordpress.com/wp-content/uploads/2017/12/grundordnung_rost_1970_06_30.pdf
3 Ebd. Anmerkung 09 Seite 21
4 Liste der ELFK Gemeinden 1972: https://grundordnung.wordpress.com/wp-content/uploads/2025/07/elfk-gemeinden-1972.pdf
5 Schreiben vom 17. März 2000 an Sup. Triebe: https://grundordnung.wordpress.com/wp-content/uploads/2019/03/syko17_3_2000.pdf
6 Grundordnung vom 17. Juni 1970 mit Erläuterungen zur Grundordnung vom 30 Juni 1970. Anmerkung 32 Zu Art.23 (3b) letzter Satz auf Seite 29: https://grundordnung.wordpress.com/wp-content/uploads/2017/12/grundordnung_rost_1970_06_30.pdf
7 Anmerkung 09 Seite 20: https://grundordnung.wordpress.com/wp-content/uploads/2017/12/grundordnung_rost_1970_06_30.pdf
8 https://www.selk.de/index.php/hermann-sasse
9 Brief von Hermann Sasse: https://grundordnung.wordpress.com/wp-content/uploads/2025/07/sasse-16-wellington-square.pdf.
10 Grundordnung vom 17. Juni 1970 mit Erläuterungen zur Grundordnung vom 30 Juni 1970. Anmerkung 11 auf Seite 21 (letzter Absatz ab Satz 2 )
https://grundordnung.wordpress.com/wp-content/uploads/2017/12/grundordnung_rost_1970_06_30.pdf

Vielen Dank für die so sorgfältig recherchierte Stellungnahme. Die Kirchensynode als Gremium von Pfarrpersonen und Gemeindegliedern ist das höchste Gremium unserer Kirche, weil dadurch alle repräsentiert sind, die Kirche sind.
Diesem Dank möchte ich mich anschließen.
Danke! Das macht Mut!
Auch ich schließe mich dem Dank an.
Die SELutherischeK sind wir ALLE, die Gemeinden mit den ca. 32000 SELKis und die ca. 110 Pastoren.
Und gemäß Luther: „Die christliche Gemeinde hat das Recht und Macht alle Lehre zu urteilen …“.
Sabine Nehrlich, Stuttgart
Ich freue mich über die sorgfältigen Recherchen, die Nachweise dass beim Zusammenschluss Kompromisse (Einheit trotz/mit/in der Vielfalt) möglich waren.
Wie schön wäre es dieses neu zu entdecken und dem Feind keine Gelegenheit zu geben die Kirche immer wieder zu spalten.
Ich bin dankbar für die unermüdlichen Bemühungen die Einheit zu wahren.
Ausserdem wurde vorher doch festgehalten dass Frauenordination nicht Kirchentrennend sei. Oder?