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Christfluencerinnen und ihre „asymmetrische Toleranz“

Leseempfehlung zu einem theologischen Beitrag von Dr. Martin Fritz über zwei evangelikale Christfluencerinnen

Hört ihr religiöse Podcasts? – Vielleicht nicht. Aber seit der Corona-Pandemie erfreuen sich die Talkformate großer Beliebtheit, auch in der evangelikalen Szene. Zu den Stars unter den „Christfluencern“, die in den Sozialen Netzwerken unterwegs sind, gehören Jana Highholder und Jasmin Neubauer. Die „Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ der EKD beschäftigt sich mit religiösen und weltanschaulichen Strömungen der Gegenwart. Auf ihrer Webseite hat nun Dr. Martin Fritz (Systematischer Theologe der Augustana-Hochschule der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern) eine detaillierte Analyse des zur Zeit sehr einflussreichen Podcasts „Jana & Jasmin – In Zeiten wie diesen“ vorgelegt.

Die Themen und Kommunikationsstrategien, die er dabei untersucht, sind nahezu eins zu eins auf aktuelle Diskussionen und Entwicklungen in der SELK übertragbar: Fundamentalismus, Biblizismus, Dualismus. Fritz‘ Artikel bemüht sich intensiv, die Denkweise und das Selbstverständnis der beiden Publizistinnen nachvollziehbar zu machen, wobei er freilich auch verdeutlicht, welche Widersprüche und „religiösen Kosten“ ihre Haltungen haben. Als Theologe betrachtet er dabei ausdrücklich die religiösen Fragestellungen und geht nicht darauf ein, dass Highholder und Neubauer in jüngster Zeit immer wieder zurecht auch dafür kritisiert werden, dass sie die persönliche und inhaltliche Nähe zu rechtsextremen Parteien und Influencern suchen und so zu „Brückenbauerinnen für rechtskonservative bis rechtsextremistische Positionen“ werden.

Ich empfehle den umfangreichen Artikel von Martin Fritz aus zwei Gründen ausdrücklich allen interessierten SELKis zur Lektüre: Zum einen führt er in die Welt der beiden zur Zeit wichtigsten „Christfluencerinnen“ ein, die für viele junge Menschen, auch aus der SELK, sehr wichtig sind. Es ist entscheidend, hier differenziert sowohl die positiven als auch die wirklich gefährlichen Aspekte des Einflusses dieser Publizistinnen zu verstehen. Zum anderen erkennen wir in seinen Analysen und seiner Kritik nur zu deutlich, welches Gedankengut auch in der SELK versucht an Einfluss zu gewinnen und wie sehr es die Botschaft Jesu Christi in Frage stellt.

(MS)
12.12.2024

Hier geht es zu Teil eins von vier des Artikels „‚In Zeiten wie diesen‘ -Theologische Beobachtungen zum evangelikalen Erfolgspodcast von Jana Highholder und Jasmin Neubauer“ von Martin Fritz

7 Gedanken zu „Christfluencerinnen und ihre „asymmetrische Toleranz““

  1. Zur Person von Martin Fritz: Martin Fritz ist ein dezidierter Schüler der beiden großen Unions-Theologen Friedrich Schleiermacher und Paul Tillich, und gehört zu dem Kreis um Christian Danz, einem der größten Schleiermacherianer unserer Zeit. Schleiermacher war derjenige, der im 19. Jahrhundert exakt die Union theologisch begründet hat, gegen die sich die Altlutheraner und unsere anderen Vorgängerkirchen gestellt haben, und der von sich selbst gesagt hat: „Ich kann nicht glauben, dass der wahrer ewiger Gott war, der sich selbst nur den Menschensohn nannte“ und der über den christlichen Glauben sagte: „Glauben (…) ist ein harter unwürdiger Dienst“.
    Diesen Hintergrund sollte man bei aller berechtigten Kritik an Evangelikalen, auch in diesem Artikel, etwa an der pietistisch-pfingstlerischen und antisakramentalen Haltung vieler Evangelikaler, beim Lesen dieses Artikels unbedingt mitberücksichtigen. Aus seinem im Artikel sehr deutlich hervortretenden schleiermacherischen uniert-reformierten Hintergrund, der sich unter anderem auch in der Aufnahme der Aussage des reformierten Theologen Karl Barth, das Wort Gottes sei lediglich in der Heilige Schrift zu finden, die Heilige Schrift selbst sei aber nicht das Wort Gottes, muss Fritz nicht allein evangelikale Frömmigkeit, sondern jede Form einer biblischen, christus-zentrierten Frömmigkeit als Biblizismus und Fundamentalismus konsequenterweise verwerfen, auch eine lutherische Frömmigkeit. Die Bekenntnisschriften unserer lutherischen Kirche, die ja die Grundlage unserer SELK bilden, würden hier wohl kaum besser wegkommen als die beiden Influencerinnen. Es ist im Übrigen bezeichnend, dass er sich auch ganz explizit gegen eben jene Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts wendet, aus denen auch die Vorgängerkirchen der SELK gerade als Gegenspieler zu seiner schleiermacherischen Theologie hervorgegangen sind.
    Ob daher Martin Fritz eine gute Ressource für Lutheraner darstellt, um sich kritisch über den Evangelikalismus und evangelikale Influencer zu informieren, möchte ich sehr bezweifeln. Dass er hier so unkritisch empfohlen wird, halte ich für überaus bedenklich. Es stellt sich die Frage, was uns der Autor damit sagen will, wenn er hier Gliedern der SELK kritiklos schleiermacherische Theologie empfiehlt und für eben jene Theologie wirbt. Will er uns damit sagen, dass das Festhalten unserer Väter und Mütter an der lutherischen Kirche und die Weigerung, die schleiermacherische Union mitzumachen, die ja nur unter größten Leiden erfolgte, ein Fehler war, den wir als SELK schleunigst rückgängig machen und uns der EKD anschließen sollten? Will er uns damit sagen, dass der einzige Weg, dem Vorwurf von Biblizismus und Fundamentalismus zu entgehen, jegliche Verabschiedung von Christozentrik und Treue zum Wort Gottes ist? Dann aber stellt sich mir die Frage, wieso dies nicht offen kommuniziert wird und hier der Eindruck vermittelt wird, als ließe sich der Analyse von Martin Fritz ohne Konflikten mit den Grundüberzeugungen der SELK zustimmen.

    1. Sehr geehrte*r „Kritische Stimme“,

      vielen Dank für Ihren Kommentar.

      Es kann sicher hilfreich sein, den Hintergrund des in diesem Artikel empfohlenen Theologen zu erläutern. Leider wird mir nach der Lektüre Ihres Kommentars nicht deutlich, wo genau im Artikel von Martin Fritz sich sachliche Fehler oder aus lutherischer Sicht falsche theologische Aussagen befinden.

      Nun geht es im Artikel natürlich anders als in Ihrem Kommentar in keiner Weise um Unionismus und den Ursprung der SELK. Sie fragen, „was uns der Autor damit sagen will, wenn er hier Gliedern der SELK kritiklos schleiermacherische Theologie empfiehlt und für eben jene Theologie wirbt“. Diese Frage geht völlig am inhaltlichen Kern des empfohlenen Artikels vorbei, denn es geht in Fritz’ Artikel um die, wie Sie zurecht sagen, „berechtigt[e] Kritik an Evangelikalen“.

      Was an dieser Kritik halte ich für übertragbar auf aktuelle Entwicklungen in der SELK? Zum einen die Tendenz zum Biblizismus, insbesondere die Tatsache, dass eine vermeintlich „wörtliche“ Bedeutung von bestimmten Bibelstellen absolut gesetzt wird. Zweitens ein immer wieder gepflegter Dualismus im Sinne von „Wir gegen die anderen“ insbesondere gegen einen ominösen „liberalen Zeitgeist“ oder Landeskirchen. Drittens moralische und theologische Exklusion. Die Grundtendenz, sich nur durch Ausschluss, Abgrenzung und Negation zu definieren. Diese Parallelen sind augenfällig, es sind gefährliche Entwicklungen und wir sollten sie als Kirche ernst nehmen.

      Herzliche Grüße
      Michael Sommer

      P.S.: Wir bemühen uns um eine klare und offene Kommunikation. In diesem Sinne laden wir auch Kommentator*innen auf unserer Seite dazu ein, ihre Texte namentlich zu kennzeichnen.

  2. Nun, auf eine sehr eindeutige Passage habe ich bereits hingewiesen. Der Grundsatz, dass „das Wort Gottes in der Heiligen Schrift zu vernehmen ist“, ist keineswegs ein lutherischer, sondern einer, der erst durch den reformierten Karl Barth begründet wurde. Dass die Heilige Schrift als Ganze (die Prophetischen und Apostolischen Schriften altes und neues Testaments) Wort Gottes ist, bezeugt die Solida Declaratio im summarischen Begriff. Dies ist daher nicht etwa eine Radikalisierung des reformatorischen Schriftprinzips durch die altprotestantische Orthodoxie des 17. Jahrhunderts, sondern Bekenntnis unserer Kirche.

    Fritz bestreitet zudem konsequenterweise jegliche Klarheit der Schrift als reines Postulat nicht allein die evangelikal schwierige unmittelbare Klarheit der Schrift. Auch dies steht im Widerspruch des reformatorischen Zeugnisses, die für die Schrift keine übergeordnete Auslegungsinstanz im modernen Sinne als notwendig erachten, sondern von der Selbstauslegung der Heiligen Schrift sprechen, insofern die Heilige Schrift der Auslegungsrahmen einzelner Stellen in ihr ist.

    Fritz vertritt als Gegenüber zu der postulierten „Ausschaltung“ von Verstand und Vernunft nur eine fundamentale Überordnung der menschlichen Vernunft über das Wort Gottes, jedoch keine Zuordnung von Vernunft und Wort Gottes bzw. Glaube im Sinne lutherischer Theologie, die immer den „dienenden Gebrauch“, nicht den „herrschenden Gebrauch“ dem Wort Gottes bzw. der Heiligen Schrift vertrat. Gerade gegenüber der reformierten Kirche. Denn es war ja Zwingli, der die Vernunft über das Wort Gottes herrschen ließ, wenn sein Argument gegen die Realpräsenz war, dass er es mit der Vernunft nicht begreifen könne.
    Hier tritt der Unterschied zwischen Fritz‘ reformiertem Schleiermacherianismus und lutherischer Theologie am deutlichsten zutage, zusammen mit der Negierung der Selbstverleugnung. Ich frage mich, wie Fritz die Negierung der Selbstverleugnung mit Jesu ausdrücklicher Forderung, sich selbst zu verleugnen und sein Kreuz auf sich zu nehmen, zusammen bringt. Hier wird sehr deutlich, dass Fritz selbst eine sehr selektive Bibelauslegung betreibt, die zentrale Aussagen Jesu nicht mehr berücksichtigen kann.

    1. Sehr geehrte*r Kommentator*in,

      danke, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, all diese sicher wichtigen theologischen Punkte auszuführen. Ich kann in Ihrem neuen Kommentar wiederum nur ein einziges Zitat aus dem empfohlenen Artikel erkennen und halte die Formulierung „Radikalisierung des reformatorischen Schriftprinzips“ für absolut nachvollziehbar. Auch ist dies nicht notwendigerweise negativ zu verstehen. Ansonsten nehme ich viel Generalkritik an Martin Fritz und kein Eingehen auf das eigentliche Thema des Artikels wahr.

      Da Sie bereits mehrere Kommentare auf „Mitten aus der SELK“ verfasst haben, wollen Sie offenbar gehört werden und der geschwisterliche Austausch in unserer Kirche ist Ihnen sicher wichtig. Schon um den Eindruck eines anonymen „Trolls“ zu vermeiden, lade ich Sie im Sinne einer wertschätzenden, offenen und ehrlichen Kommunikation erneut ein, sich vorzustellen. Wir freuen uns weiterhin über faires und konstruktives Feedback.

      Mit freundlichen Grüßen
      Michael Sommer

  3. Nun, ich betrachte mich eher als eine Stimme in der Wüste. Mein Name ist daher nicht von Bedeutung.

    Ich frage mich, ob nun jeder kritische Kommentar mit einer redaktionellen Antwort versehen wird. Das macht nicht den Eindruck einer freien Plattform, sondern eher den Eindruck, dass es hier darum geht, eine bestimmte redaktionell gebilligte Position durchzudrücken, bei der es keinen Platz für Kritik gibt. Dem entspricht ja auch die nachträgliche Löschung eines kritischen Kommentars.

    Ansonsten bin ich etwas erstaunt über Ihre Ausführungen, da Sie bei mir die Frage aufwerfen, wie genau Sie den von Ihnen empfohlenen Artikel von Martin Fritz überhaupt gelesen haben. Alle von mir kritisierten Punkte kommen im Artikel vor und machen sehr deutlich, wieso es äußerst fragwürdig erscheint, diesen Artikel und damit die dahinter liegende reformierte Theologie kritiklos und ohne Einordnung einer lutherischen Leserschaft zu empfehlen. Dass die Problematik selbst nach einem Hinweis auf die offensichtlichen Schwierigkeiten nicht erkannt wird, lässt leider wirklich deutliche Zweifel an Ihrer theologischen Fachkompetenz aufkommen und auch fragen, wieso Ihnen denn überhaupt so an einer lutherischen Kirche gelegen ist, wenn Ihnen offensichtlich nicht einmal die grundlegenden und prinzipiellen Unterschiede zwischen lutherischer und reformierten Theologe bewusst sind.

    1. Sehr geehrte*r Kommentator*in,

      danke für Ihren Kommentar. Wir bitten um Nachsicht dafür, dass wir nicht alle eingehenden Kommentare noch am selben Tag prüfen und veröffentlichen können. Generell darf ich Ihnen versichern, dass kritische Kommentare keineswegs gelöscht werden, sondern nur solche, die beleidigend, hasserfüllt oder gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen (oder andere strafrechtlich relevante Aussagen enthalten). Über einen solchen Schritt werden wir aber ggf. sowohl die Verfasser*innen der Kommentare informieren als auch unter dem entsprechenden Beitrag darauf aufmerksam machen.

      Die Betreuung von Kommentaren ist ein wesentlicher Teil der Verantwortung, der wir nachkommen wollen und müssen, indem wir diese Webseite betreuen. Denn neben den oben genannten extremen Fällen von gewaltvoller Kommunikation gibt es auch andere Formen von Kommentaren, die sich einem offenen und fairen Austausch verweigern. Diese werden wir durchaus veröffentlichen, aber wir werden sie einordnen. Dazu gehört die Mehrzahl der Kommentare, die Sie bisher auf dieser Plattform veröffentlicht haben.

      Es ist selbstverständlich ihr Recht, anonym zu bleiben, nicht differenziert, sondern einseitig gegen die Frauenordination und die Vielfalt der SELK zu schreiben, es ist ihr Recht Zweifel an den Motiven unserer Kommunikation zu säen, Angst zu schüren und uns negative Motive zu unterstellen. Es ist aber keineswegs unsere Pflicht, dies zu veröffentlichen oder gar unkommentiert zu lassen.

      Die gesamte Kommunikationsstrategie der von Ihnen verfassten Kommentare, insbesondere aber die Tatsache, dass Sie es ablehnen, mit ihrem Namen dazu zu stehen, erinnert mich an den E-Mail-Austausch, den ich vor einiger Zeit mit einem Geistlichen der SELK hatte. Auch diesem Herrn war es darum zu tun, in der Diskussion auch nicht andeutungsweise nach Gemeinsamkeiten oder Austausch zu suchen, sondern alle Äußerungen des Gegenübers zu entkräften, zu diffamieren, zu delegitimieren – aber einen öffentlichen Austausch, gar ein Gespräch, bei dem er Gesicht hätte zeigen müssen, das lehnte er kategorisch ab, und zwar sinngemäß mit dem Hinweis, er hätte ja einen Ruf zu verlieren.

      Schauen Sie, ich frage mich: Wenn Sie Ihrer Argumente, Ihrer Haltung und Ihres Weltbildes so sicher sind, wenn Sie glauben, dass dies eine christlich-geschwisterliche Art des Umgangs miteinander ist, was hindert sie dann daran, öffentlich dazu zu stehen?

      Nun zu Ihren Bemerkungen hinsichtlich meines Mangels an theologischer Fachkompetenz. Da haben Sie völlig Recht, der steht fest. Ich bin kein Theologe, ich bin nur getaufter Christ mit einer bescheidenen geistlichen Allgemeinbildung. Mir scheint, dass Ihrer Ansicht nach Leute wie ich zu theologischen Fragen besser keine Meinung haben oder sich zumindest nicht öffentlich dazu äußern sollten. Nun, da ist Martin Luther anderer Ansicht, siehe seine Schrift AN DEN CHRISTLICHEN ADEL DEUTSCHER NATION. Ich glaube, die werde ich demnächst mal verplaymobilisieren.

      Herzliche Grüße
      Michael Sommer

  4. Sehr geehrter Herr Sommer, ich bedanke mich für Ihre Betreuung der Kommentare und freue mich über diese Plattform ‚Aus der Mitte der SELK‘. Wenn Jesus im ‚Hohenpriesterlichen Gebet‘ um die Einheit (seiner Nachfolger) bittet sollten wir uns auch ernsthaft um diese Einheit bemühen und nicht immer ‚ Abgrenzung, Austritt, Ausschluss ‚ als einzige Option darzustellen.
    Gruß Christa Straeuli

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