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Ein Kind ist uns geboren

Die Christmette an Heiligabend ist der Gottesdienst der Kinder. Das ist kein Zufall. Denn im Mittelpunkt dieses Abends steht ein Kind: Jesus. Gott wird Kind, und zwar nicht irgendwo, sondern ganz unten. Dass das irdische Leben von Jesus in bitterer Armut beginnt, ist nicht einfach eine rührende Geschichte – es legt den Kern der Botschaft Jesu offen.

Gott kommt nicht als mächtiger König, nicht mit Gewalt, nicht auf einem Thron. Er kommt als verletzliches Kind, abhängig, schutzbedürftig, ausgeliefert. Er kommt nicht, um zu herrschen, sondern um sich klein zu machen. Diese Umkehr ist keine Nebensache – sie ist das Evangelium selbst. In Jesus stellt sich Gott auf die Seite derer, die keine Macht haben. Auf die Seite der Unterdrückten, der Entrechteten, der Verletzlichen. Er nimmt ihre Perspektive ein. Mehr noch: Er wird einer von ihnen.

In Genesis 3 wird uns erzählt, dass der Mann über die Frau herrscht – als eine der Strafen für die Übertretung des göttlichen Gebots. Damit ist das Patriarchat, die Herrschaft der Männer, Teil der gestörten Beziehungen zwischen Mensch und Gott – ebenso wie zwischen den Menschen. Über- und Unterordnung ist die Sündenordnung der Welt. Jesus lässt keinen Zweifel daran, wo er in dieser Logik steht. Nicht auf der Seite der Mächtigen. Nicht auf der Seite der Herrschenden. Sondern immer auf der Seite derer, denen Macht genommen wird. Weihnachten ist deshalb keine harmlose Idylle. Es ist Gottes entschiedenes Nein zu einer Welt der Über- und Unterordnung, der Herrschaft und Machtausübung.

Menschliche Gesellschaften verändern sich. Und doch leben wir bis heute in einer Welt, die von Gewalt geprägt ist – von offenen Formen der Gewalt, aber auch von subtileren, strukturellen. Hierarchien, asymmetrische Beziehungen, der Missbrauch von Macht sind auch in unserem Land Realität. Wir wissen das. Wir spüren es. Und wir wissen auch: Wir sind noch weit entfernt von einer wirklich gerechten Gesellschaft.

Christlicher Glaube bedeutet, sich damit nicht abzufinden. Jesus ruft uns dazu auf, ihm nachzufolgen – nicht nur in Worten, sondern im Leben. Das betrifft unser persönliches Handeln. Und es betrifft ganz wesentlich die Art, wie wir Kirche gestalten.

Der Missbrauch von Macht in der Kirche gehört zu den schwersten Verfehlungen des Christentums. Gewalt an Kindern, sexualisierte Gewalt, seelischer Missbrauch – all das ist nicht einfach individuelles Versagen, sondern Ausdruck eines Systems, das Macht schützt und Schwäche übergeht. Und dazu gehört auch Gewalt an Frauen. Kirche war – wie die Gesellschaften, in denen sie existierte – über Jahrhunderte Teil patriarchaler Machtlogiken. Sie hat sie mitgetragen, gerechtfertigt, geistlich überhöht.

Asymmetrische Beziehungen sind keine gerechten Beziehungen. Das gilt auch dann, wenn sie religiös begründet werden. Natürlich leben Menschen auf unterschiedliche Weise miteinander. Viele sind in festen Rollenbildern aufgewachsen und empfinden diese als vertraut und stimmig. Daran ist nichts Verwerfliches – solange diese Rollen selbstgewählt sind und allen Beteiligten guttun. Entscheidend ist dieses eine Wort: selbstgewählt.

Kirchliche Ordnungen jedoch sind keine Privatsache. Sie setzen Maßstäbe. Sie prägen, was als normal, gottgewollt oder ausgeschlossen gilt. Wenn Kirche systematisch immer wieder an überholten Rollenbildern für Frauen festhält und sie von Leitungsämtern ausschließt, dann ist das keine neutrale Tradition. Es ist die Fortsetzung einer ungerechten Herrschaftslogik. Und damit – theologisch gesprochen – Teil der Sündenordnung der Welt.

Weihnachten widerspricht dieser Logik. Gott macht sich klein. Gott verzichtet auf Macht. Gott identifiziert sich mit den Schwachen. Wer Weihnachten ernst nimmt, kann nicht gleichzeitig an Strukturen festhalten, die Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihrer Identität begrenzen und abwerten.

Darum ist Weihnachten nicht zufällig eines der zentralen Feste des christlichen Glaubens. Hier verdichtet sich alles: Gottes Liebe, Gottes Parteinahme, Gottes Kritik an ungerechter Macht. Wer dem Kind in der Krippe begegnet, begegnet einem Gott, der sagt: So nicht. Nicht auf Kosten der Schwachen. Nicht auf Kosten der Würde. Nicht auf Kosten der Gerechtigkeit.

Eine Kirche, die Weihnachten feiert, ist gerufen, diese Bewegung mitzugehen. Gegen jede Form von Herrschaft, die Menschen klein hält. Und für eine Gemeinschaft, in der alle ihre Gaben leben dürfen.

Denn Gott wird ein Kind.
Und verändert die Welt von unten.

(ms)
23.12.2025

Das Beitragsbild wurde von der Redaktion mit Hilfe der KI Midjourney erstellt.

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