Ich will eine Kleinigkeit über meinen Vater erzählen. Wenn du das liest, Papa, keine Sorge, es ist nur Gutes. Wir haben uns nicht oft über Glaubensdinge unterhalten, aber ein Bereich, in dem mein Vater mir und meinen Schwestern ein Vorbild war, war der Posaunenchor. Dass er dort mitspielte, war ein wichtiger Grund für uns, selbst ein Instrument zu lernen und Kirchenmusik zu machen. Und noch etwas: Mehr als einmal haben wir ihn zu Tränen gerührt gesehen von einem schön gespielten Choral oder Musikstück. Sich von der Musik zur Ehre Gottes ergreifen zu lassen, dieses Gefühl zuzulassen und zu zeigen – das ist keine kleine Gabe. Wann spüren wir unsere Verbundenheit als Gemeinde und die Gegenwart des Heiligen Geistes so sehr wie im gemeinsamen Singen und Musizieren?
Ich teile diese Erinnerungen mit euch, weil ich gestern den Fernsehfilm BACH – EIN WEIHNACHTSWUNDER (Regie: Florian Baxmeyer) gesehen habe. Der Film ist in der ARD-Mediathek (unter diesem Link) verfügbar und wenn ihr es noch nicht getan habt, solltet ihr ihn unbedingt anschauen. Die Musik Johann Sebastian Bachs ist von elementarer Bedeutung für die Kirchen der Reformation. Kein anderer geistlicher Komponist hat nachfolgende Generationen so sehr beeinflusst, seine Orgelwerke und Choräle sind bis heute fester Bestandteil der Gottesdienste; Jahr für Jahr werden seine Kantaten, die Passionen und das Weihnachtsoratorium aufgeführt.
Der Film führt uns ins Leipzig des Jahres 1734, Bach ist seit elf Jahren Thomaskantor und produziert unermüdlich Kantaten für die Sonn- und Festtagsgottedienste. Das trägt ihm jedoch keineswegs ausschließlich Beifall ein: Stadtrat Stieglitz ist die „opernhafte“ Musik, die die Menschen emotional mitreißt, ein Dorn im Auge und er will dem in seinen Augen renitenten Komponisten ein für alle mal die Produktion „großer Werke“ verbieten. Bach seinerseits protestiert – und komponiert. Er kann nicht anders, er ist ein Getriebener, die Musik muss aus ihm heraus. Unterstützt wird er von seiner großen Familie und seiner zweiten Frau Anna Magdalena, die freilich auch selbst genug Sorgen hat: Sieben Kinder hat das Paar bereits begraben müssen, nun ist sie wieder schwanger und fürchtet sich davor, ein weiteres zu verlieren. Auch mit den größeren Kindern gibt es Probleme: Bach und sein Sohn Carl Philipp Emanuel sind zerstritten. Nun sind es nur noch wenige Tage bis Weihnachten und Bach arbeitet wie besessen an der Fertigstellung des Weihnachtsoratoriums, es scheint unmöglich, dass das bahnbrechende Werk bis zu den Feiertagen fertig ist. Und trotz verlorenem Sohn und drohendem Arbeitsplatzverlust geschieht das titelgebende Wunder, am Ende erklingt (und zwar beneidenswerterweise ohne nennenswerte Proben) „Jauchzet, frohlocket!“ und selbst dem hartgesottenen Stadtrat (Thorsten Merten) kullern die Tränen über die Wangen.
Was macht nun diesen Fernsehfilm so besonders? Zunächst einmal gibt er einen sehr authentischen und gut erzählten Einblick in die Lebenswelt und -härte der Familie Bach. Wie sie von Klein bis Groß um den Esstisch sitzen und stunden- und tagelang Noten setzen oder kopieren, das zeigt so wunderbar anschaulich, dass es sich bei Bachs musikalischer Produktion letztlich nicht um das Werk eines Mannes, sondern einen Familienbetrieb handelt, was seinen ungeheuerlichen Output erklärt, aber auch eine Belastung der Familie bis zu Zerreißproben bedeutet. Bach selbst wird von Devid Striesow brillant verkörpert – ein wortkarger Mann, durchaus herzlich, aber auch streng, dessen Besessenheit von seinem Werk für seine Umgebung eine Zumutung bedeutet. Auch zwischen den Eheleuten (Verena Altenberger spielt eine herzliche und starke, dabei dennoch zerbrechliche Anna Magdalena Bach) werden nicht viele überflüssige Worte gewechselt – der Zusammenhalt, der feste Glaube, all das liegt in diesem riesigen Berg von Arbeit, den sie gemeinsam bewältigen. Diese Bachs sind keine Helden darin, gut zu streiten – das fällt sehr schwer. Sie halten in der Familie trotz aller Differenzen zusammen, denn sie lieben sich, stehen trotz allem zusammen und geben alles für das große Werk: Die Verkündigung der Ehre Gottes durch die Musik.
Wir werden in den nächsten Tagen in den Weihnachtsgottesdiensten einmal mehr wunderbare Musik erleben, um das Wunder der Menschwerdung Gottes zu erfahren. Bei aller Verschiedenheit und Entfremdung, die wir auch in unserer Kirche erleben, lasst uns das Gefühl der Verbundenheit mit Gott und mit einander festhalten und mit ihm getrost ins Neue Jahr gehen.
(MS)
20.12.2024
Beitragsbild: Kirchenfenster mit Portrait Johann Sebastian Bachs aus der Thomaskirche in Leipzig (Ausschnitt). Quelle: commons.wikimedia.org, gemeinfrei.

Ein wunderbarer Film!
Berührend, wie der wohl autistische Gottfried Bach in seiner Familie geliebt wird, wie er ist, und wie er den bewegendsten Choral im Film beginnt zu singen, woraufhin nach und nach alle Familienmitglieder einstimmen.
Bewegt hat uns aber auch, dass die hervorragende Sopranistin Anna Magdalena Bach NICHT in der Kirche singen durfte („Die Frau schweige in der Gemeinde!“), sondern nur zu weltlichen Anlässen. Und ermutigend, dass die kleine Elisabeth Bach fragt, weshalb sie nicht in der Kirche singen dürfe, wo sie doch besser singen könne als viele Knaben. Ähnliche Fragen, wie sie uns auch heute noch bewegen …