Ein Kommentar
Bischof Hans-Jörg Voigt hat eine Video-Grußbotschaft nach Australien gesendet. Das ist nichts Ungewöhnliches, der digitale Teil der Kirche wird für viele Menschen immer wichtiger. Adressat des anderthalbminütigen Videos, das am 5. Dezember 2024 veröffentlicht wurde, ist die „Lutheran Mission Australia“. Es handelt sich bei dieser Organisation um eine neue Kirche, die von „konfessionellen Lutheranern“ in Australien mit tatkräftiger Unterstützung von leitenden Geistlichen von Mitgliedskirchen des Internationalen Lutherischen Rates (ILC) ins Leben gerufen wurde. Wie kommt es zu dieser neuen Kirche? Bisher gab es im lutherischen Raum nur die Lutheran Church of Australia and New Zealand (LCANZ).
Die LCANZ beruft sich seit ihrem Zusammenschluss 1966 auf die Heilige Schrift und die Lutherischen Bekenntnisschriften als das Fundament ihrer Lehre. Viele Jahrzehnte lang bestanden enge Beziehungen zwischen der LCANZ und anderen lutherischen Kirchen wie der SELK. So war die australische Kirche auch assoziiertes Mitglied des ILC. Bis zum 5. Oktober 2024. An diesem Tag beschloss die „General Synod“ (Kirchensynode) der LCANZ nach einer viele Jahre andauernden Debatte und dem zuletzt über anderthalb Jahre kirchenweit durchgeführten „Way Forward Project“, die Ordination von Frauen grundsätzlich zu ermöglichen. Dabei war es das große Anliegen der LCANZ, beiden theologischen Lehrmeinungen (Ordination nur für Männer vs. Ordination unabhängig vom Geschlecht) gerecht zu werden. „One church, two practices“ – dieses Ziel wird in Australien und Neuseeland künftig dadurch erreicht, dass Gemeinden selbst entscheiden können, ob sie eine Frau als Pfarrerin berufen wollen, und männliche Pfarrpersonen können – auf Wunsch – einen männlichen vorgesetzten Geistlichen erhalten.
Nun stieß nicht nur die Synodalentscheidung, sondern schon das vorangegangene „Way Forward Project“ nicht nur auf Zustimmung. Einige Pfarrer der LCANZ äußerten sich von Anfang an ablehnend und beteiligten sich nicht an dem intensiven Ringen ihrer Kirche, weiterhin die geistliche Heimat aller konfessionell-lutherischen Christ*innen in Australien und Neuseeland zu bleiben. Der ILC, vertreten durch seinen Vorsitzenden Bischof Dr. Pohjola von der finnischen Evangelisch-Lutherischen Missionsdiözese, besuchte verschiedene dieser Pfarrer und Gemeinden. Noch bevor die Kirchensynode der LCANZ eine Entscheidung getroffen hatte, gründeten Kirchglieder der LCANZ unter Vorsitz des ehemaligen LCANZ-Pfarrers Matt Anker die neue „Lutheran Mission Australia“ als künftige lutherische „Kirche ohne Frauenordination“ in Australien und der ILC erkannte die neue Kirche auch umgehend als Mitglied an, während die LCANZ, bisher „Assoziiertes Mitglied“ des ILC, nach dem 05.10.2024 als „Beobachter“ eingestuft wurde. Ende November 2024 wurde ein feierlicher Eröffnungsgottesdienst der LMA gefeiert, und die leitenden Geistlichen mehrerer ILC-Kirchen sendeten der neuen Kirche Grußworte, darunter Dr. Juhana Pohjola (Finnland), President Matthew Harrison von der US-amerikanischen Lutheran Church-Missouri Synod und Bischof Hans-Jörg Voigt von der SELK.
Auf Nachfrage erklärte Bischof Voigt, dass er in Bezug auf das „Way Forward Project“ keinen Kontakt mit der LCANZ gehabt und das Projekt in keiner Weise begleitet oder unterstützt habe. Für ein Grußwort an die LCANZ sehe er keine Veranlassung. Im Übrigen handele es sich bei der neu gegründeten „Lutheran Mission Australia“ NICHT um eine neue Kirche, da sie ihre Lehre (im Hinblick auf die Frauenordination) nicht geändert habe.
Um diesen Vorgang einzuordnen: Voigt warnt seit vielen Monaten eindringlich davor, dass die SELK kurz vor einer Spaltung stehe und hat mehrfach seine „Ratlosigkeit“ bekundet, wie dieser Prozess noch aufzuhalten sei. Im Falle der australischen lutherischen Schwesterkirche hat er das lange und intensive Bemühen unserer Geschwister, die Kirche zusammenzuhalten, nach eigenen Angaben nicht nur nicht unterstützt, sondern stellt sich mit dem vorliegenden Grußwort auf die Seite derjenigen, die aktiv die Trennung der australischen Kirche betrieben haben. Es handelt sich bei der Lutheran Mission Australia zur Zeit um eine zahlenmäßig kleine Gruppe von Menschen, die freilich ihrem Namen entsprechend lautstarke und intensive „Missionsarbeit“ betreibt, vor allem unter den lutherischen Christ*innen der LCANZ. Die mittel- und langfristige Größe dieser neuen Kirche lässt sich noch nicht abschätzen, es deutet jedoch alles darauf hin, dass es sich um eine überschaubare Anzahl von Gemeinden handeln wird. Ein Modell auch für die Zukunft der SELK?
In einem Vortrag, den Bischof Voigt am 13. April 2024 auf der Bezirkssynode Rheinland-Westfalen der SELK hielt, machte er deutlich, dass es seiner Meinung nach keinen weiteren Entwicklungsspielraum in der SELK zum Thema Frauenordination gebe: „Wir haben uns in den vergangenen Jahren schon so aufeinander zubewegt, dass die Frage sich heute nur noch mit ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ beantworten lässt. (…) Die Gegner der Ordination von Frauen aber halten die eine [sic] doppelte Praxis in der Kirche für kirchentrennend.“ [1] Das Fazit von Voigts Vortrag ist der von dem Soziologen Hartmut Rosa übernommene, schillernde Begriff des „Aufhörens“: „Das Wichtigste ist, dass ich aufhöre. (…) Einerseits meint dieses großartige Wort ‚aufhören‘ anhalten, stoppen. Andererseits heißt das Wort auf-hören, dass ich (…) aufwärts höre.“ [2] Voigt meint mit dem „Aufhören“ also offenbar sowohl das Hören auf Gott als auch das Beenden der Debatte um die Frauenordination. Zusammenfassend lautet die Haltung des Bischofs, dass sich in der SELK im Hinblick auf die Frauenordination nichts verändern darf, weil es sonst zur Kirchentrennung kommen müsse.
Seit dem Zwischenbericht der Synodalkommission „Ordination von Frauen“auf der zweiten Tagung der 15. Kirchensynode der SELK im Juni 2024 ist zum ersten Mal öffentlich dokumentiert, dass die von Bischof Voigt vertretene ablehnende Haltung gegenüber der Frauenordination angesichts der Voten aus den Gemeinden eine Minderheitenmeinung in der SELK ist. Sollte sich die SELK also wie von Voigt befürchtet trennen, dürfte es ähnlich wie in Australien nur eine kleine Anzahl von Gemeinden sein, die die Kirche verlassen. Gleichwohl gibt es auch in der SELK viele Menschen, die ähnlich wie unsere Geschwister in der LCANZ alles daran setzen, eine Kirchentrennung zu verhindern und eine Kirche mit Zukunft zu bauen, die zwei Ordinationspraktiken zulässt.
Hier die deutsche Übersetzung des Grußworts von Bischof Voigt an die LMA:
Mein Name ist Hans-Jörg Voigt, ich bin Bischof der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche – SELK – in Deutschland. Seit langer Zeit diskutiert meine Kirche, die konfessionell-lutherische Kirche, die Frage der Frauenordination, und daher kann ich die Situation in Australien ein wenig nachempfinden und verstehen. Wir stehen hier in Deutschland vor ganz ähnlichen Herausforderungen und eine Schlüsselfrage ist: Stehen wir zur traditionellen Lehre der Kirche? Folgen wir den apostolischen Weisungen? Folgen wir der apostolischen Lehre, dass nur Männer ordinierte Pfarrer einer Kirche werden können? Das ist die Lehre der Ostorthodoxen Kirche, das ist die Lehre der Römisch-Katholischen Kirche und das ist auch die Lehre der lutherischen Kirche bis zum frühen Beginn des 20. Jahrhunderts. Wir beten für unsere Brüder und Schwestern in der Lutherischen Mission in Australien, wir beten für die gesamte lutherische Kirche in Australien. Wir sind uns bewusst, dass sich hinter der Frage der Frauenordination viele andere Fragen verbergen, und so beschreiben wir unsere Situation hier in Deutschland: Die Frage der Segnung gleichgeschlechtlicher Ehen, Genderfragen und so weiter. Die Frage ist, ob die Kirche eine Minderheitenposition in der Gesellschaft akzeptieren kann. Kann die Kirche Minderheitenpositionen vertreten und kann die Kirche in all diesen Fragen weiterhin zu den Lehren der Bibel stehen? Und ich möchte die Lutherische Mission in Australien ermutigen, dies zu tun, und versichern, dass wir alle für Sie beten und an Ihrer Seite stehen. Gott sei mit Ihnen, Gott segne die Lutherische Mission in Australien. Und wir beten weiterhin für die Lutherische Mission und für Lutheraner in Ihrem Land und auf Ihrem Kontinent. Gott sei mit Ihnen, Amen. [Übersetzung MS]
Anmerkung:
Auf Nachfrage, worauf er sich mit der Behauptung beziehe, hinter der Frage der Frauenordination stehe die „Frage der Segnung gleichgeschlechtlicher Ehen, Genderfragen und so weiter“ erklärte Bischof Voigt, er befände sich mit einem Befürworter der Frauenordination aus der SELK im Gespräch, der sich zu einer Frage der sexuellen Selbstbestimmung geäußert habe. Außer diesem Hinweis auf eine Äußerung, deren inhaltlicher Zusammenhang mit der Frage der Frauenordination unklar bleibt, liegen andere Belege für den im Grußwort formulierten Zusammenhang, etwa Publikationen, Diskussionen oder Vorträge, nicht vor.
[1] Hans-Jörg Voigt: „Meine Vision von unserer Kirche vor dem Hintergrund von Einheit und Polarisierung, vor allem bezogen auf die Frauenordination“. Referat auf der Kirchenbezirkssynode Rheinland-Westfalen am 13. April 2024. Unveröffentlichtes Manuskript, dankend erhalten vom Autor.
[2] Hartmut Rosa: Demokratie braucht Religion – Über eine eigentümliches Resonanzverhältnis. 3. Auflage. München: Kösel, 2022. S. 56. Zitiert nach Voigt, a.a.O.
(MS)
23.12.2024
Beitragsbild erzeugt von der Redaktion unter Benutzung von Midjourney.

Ihr Lieben, vielen Dank für die Einordnung der aktuellen Situation in Australien und der Reaktion unseres Bischofs darauf! Ich bin sehr gespannt, wie unser Weg weitergehen wird. Die Voten aus den Gemeinden können nicht einfach ignoriert werden…
Ich finde den Newsletter sehr informativ und wichtig! Bitte macht weiter. Liebe Grüße, Heike
Ob ein „Auf-Hören“ in der Frage der FO ein „Auf Gott hören“ ist, erschließt sich mir nicht. Das ist ja die Frage von Anfang an auf die es keine Antwort gibt, „was ist biblisch?“. Es ist dem Bischof natürlich zuzugestehen, dass er sich eindeutig positioniert. Als Bischof einer Kirche, in der viele sich aber eine Veränderung in dieser Frage wünschen, vertritt er diese nicht, wenn er sich nur für eine Abspaltung einer Kirche, die wirklich gerungen hat und weder der einen, als auch der anderen Seite Raum lässt, interessiert und für sie betet. Nebenbei bemerkt, es ist auch keine Mission, wenn dieser Zweig die Mitglieder der verbliebenen Kirche abwirbt.
Hermann Borchers
Der lange konstruktive Prozess und Weg, den die australische lutherische Kirche in der Frage der Frauenordination gegangen ist und die Lösung, die sie gefunden hat, könnten ein Vorbild für die SELK und ihr eigenes Ringen um die Frage der Frauenordination sein.
Schade, dass Bischof Voigt das offensichtlich nicht so sieht, sondern statt dessen diejenigen mit einer Video-Botschaft bedenkt, die sich der Lösung der australsichen Kirche verweigern und sich leider abspalten…
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